Afghanistan Analysts Network – English

AAN in the Media

Zwölf Jahre Afghanistaneinsatz: eine Zwischenbilanz

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Bundeswehr-Journal, 24 May 2014

The German military forces’ website summarises the statement by AAN’s Thomas Ruttig at a hearing at the foreign affairs committee of the German parliament trying to draw lessons from 13 years of ISAF, initiated by the Green faction:

[…] Doch zunächst zu Thomas Ruttig, Mitbegründer und Co-Direktor der unabhängigen, gemeinnützigen Forschungsinstitution „Afghanistan Analysts Network“ (AAN) mit Sitz in der afghanischen Hauptstadt Kabul. Ruttig kennt die afghanischen Realitäten gut, bereist er doch das Land am Hindukusch schon seit den 1980er-Jahren und war in Afghanistan für die damalige DDR diplomatisch tätig. Später arbeitete er dort als Berater der deutschen Botschaft und der Vereinten Nationen. Der Politikanalytiker studierte an der Humboldt-Universität zu Berlin Afghanistik und spricht die afghanischen Landessprachen Dari und Paschtu.

Wichtige Weichenstellungen – in falsche Richtungen

Für Thomas Ruttig war die NATO-Intervention im Jahr 2001 in Afghanistan zunächst „eine große Chance“, weil sie von der Mehrheit der Bevölkerung getragen wurde. Heute, nach mehr als zwölf Jahren, müsse man allerdings attestieren, dass diese Chance leider vertan wurde. Der Krieg in Afghanistan dauere an, bei steigenden zivilen Opfern und Folgekosten. Dies habe dazu geführt, so der Co-Direktor des AAN in seinem Beitrag vor dem Auswärtigen Ausschuss, dass sich der Großteil der Afghanen inzwischen von der Mission des Westens, die am Anfang noch vorbehaltlos unterstützt worden sei, abgewandt habe.

Zu den Gründen für diesen fundamentalen Sinneswandel erklärte der Sachverständige: „Das hat damit zu tun, dass zu Beginn der internationalen Präsenz in Afghanistan nach dem Sturz des Talibanregimes politische Weichenstellungen erfolgten, die in eine falsche Richtung wiesen. Maßgebliche Entscheidungen, die unter geringer Anteilnahme der afghanischen Bevölkerung erfolgten. Dazu gehörte die Entscheidung für ein Präsidialsystem – also ohne Ministerpräsident. Außerdem die Abschaffung der Wehrpflicht in Afghanistan zu einem Zeitpunkt, da die Bevölkerung ihre nationalen Streitkräfte als wichtiges Element der Nationenbildung, des Nation-building, zu begreifen begann. Und schließlich verlangsamte sich der Fortschrittsprozess in den Jahren nach 2005 mit zunehmender Intensität des Konflikts immer mehr.“

Von der „Freiheitserfahrung in den Köpfen der Menschen“

Nach Ruttigs grundsätzlicher Einschätzung geht es bei der Betrachtung Afghanistans nicht so sehr um das Etikett „Failed State“, gescheiterter Staat. Sondern vielmehr um die nach der westlichen Intervention fehlgeleitete Hilfe – „Failed Aid“.

Afghanistan sei unter den Taliban ein gescheiterter Staat gewesen, erinnerte der Experte. Und es könne durchaus sein, dass die Gesamtentwicklung wieder in diese Richtung steuere, sollte der Kampftruppenabzug Ende 2014 nicht zufriedenstellend verlaufen oder die Präsidentenwahl nicht die erhoffte Weichenstellung für das Land bringen. Afghanistan belegt heute im aktuellen „Failed States Index 2013“ der unabhängigen Organisation „The Fund for Peace“ Rang 7 hinter Somalia (Rang 1 und damit der gescheiterte Staat schlechthin), der Demokratischen Republik Kongo (2), dem Sudan (3) und dem Südsudan (4), der Republik Tschad (5) und dem Jemen (6). Ruttig warnte: „Die Lage Afghanistans könnte sich auch dann wieder in Richtung ,failed state‘ verändern, wenn es keine durchgreifenden und wirksamen Reformen innerhalb des staatlichen Systems und in der Administration gibt, wenn nicht endlich die Korruption bekämpft wird oder wenn es die bereits von der Internationalen Gemeinschaft bei zahlreichen Konferenzen zugesagten finanziellen Hilfen nicht in dem notwendigen Umfang geben sollte.“

Was seiner Meinung von diesem Einsatz des Westens in Afghanistan bleiben werde, seien auf jeden Fall „Freiheitserfahrungen in den Köpfen“ der Menschen und Bildungsfortschritte, bilanzierte Ruttig. Der größte Misserfolg der USA und ihrer Koalitionspartner bestehe darin, das „Land in Richtung Demokratie aufs Gleis gesetzt“ zu haben. „Das derzeitige politische System Afghanistans ist pluralistisch, aber nicht demokratisch. Es wird letztendlich beherrscht aus einer Koalition von Neo-Oligarchen und Warlords.“

Gesamtsituation realistisch statt zweckoptimistisch sehen

Mit Blick auf die Zeit nach Ende der ISAF-Mission formulierte der Sachverständige vom Kabuler AAN folgende Lehren: „Wenn wir nach 2014 in Afghanistan noch etwas erreichen wollen, dann müssen wir bei der Betrachtung der Gesamtsituation realistisch statt zweckoptimistisch sein. Entscheidend wird auch sein, Qualität statt Quantität zu messen. Zugleich muss auch im Westen eine Rückbesinnung stattfinden – wir sind nicht in Afghanistan, um dem amtierenden Präsidenten zu helfen, sondern der afghanischen Bevölkerung. Wichtig ist auch, dass wir uns wieder auf die Kernpunkte von Entwicklungspolitik konzentrieren, beispielsweise auf die Armutsbekämpfung. Wir müssen nicht nur demokratische Prozesse und Institutionen schaffen, sondern auch nachhaltig prodemokratische Kräfte unterstützen.“

Die Ziele einer Demokratisierung Afghanistans seien seiner Ansicht nach nicht zu hoch gesteckt gewesen, schloss Thomas Ruttig: „Unsere Mittel und Instrumente waren und sind nicht ausreichen[d].“